Es war kurz vor Schluss der munteren Wahlrunde, als die Zuschauer zu völlig unverhofften Einblicken kamen: Vor ihnen saßen nicht nur sieben Kandidaten, die am 12. Februar Oberbürgermeister oder Oberbürgermeisterin von Mainz werden wollen – nein, da saßen auch ein Skatmeister und eine Speerwurfmeisterin, ein Otto und einer, der einst Jürgen Klopp zum Trainer machen wollte. „Mensch.Wähl.Mich“ heißt das Forum des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), bei dem den jeweiligen Kandidaten auf unterhaltsame Weise auf den Zahn gefühlt wird – so auch vergangenen Donnerstag in Mainz. Um ernste Themen ging es aber auch, allen voran: Wohnungsmangel und attraktiver Arbeitgeber Mainz.
Bereits zur Bundestagswahl 2021 hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Mainz das Wahl-Spiel „Mensch.Wähl.Mich“ ins Leben gerufen. Analog zum bekannten Gesellschaftsspiel „Mensch ärger‘ Dich nicht“, wird auch hier reihum gewürfelt, mit ihren Hütchen landen die Spieler dann aber eher auf Spielfeldern wie bei „Monopoly“ – und müssen wahlweise Fragen zu bestimmten Themen oder Publikumsfragen beantworten-
Beim DGB-Event vergangenen Donnerstag sollte es natürlich vor allem auch um soziale Fragen und Gewerkschaftsanliegen gehen, Vertreter der Gewerkschaften in Mainz übergaben an die sieben OB-Kandidaten eine Petition mit der Forderung für 10,5 Prozent mehr Tabellenentgelt – mindestens 500 Euro mehr – zu den kommenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Die Petition wurde von den Beschäftigten der Stadt Mainz sowie der kommunalen Betriebe wie Stadtwerke, Entsorgungsbetrieb und Wirtschaftsbetrieb unterschrieben. „Wir wünschen uns jemanden als OB, der nah bei den Bürgern ist, aber eine klare Haltung hat, nicht jedem nach dem Mund redet, und eine Vision für Mainz hat“, hiß0e es zudem von Seiten des DGB.
Publikumsfragen von Feuerwehr bis Parkplätzen für die Polizei
Reihum griffen die Kandidaten dann zu dem überdimensionalen großen roten Würfel, und der spuckte in großer Anzahl Publikumsfragen aus. Da ging es etwa um eine bessere Ausstattung der Feuerwehr, um ein digitales Stadtmodell oder auch mal um die Frage, welche Unterstützung es in Sachen Dämmung des eigenen Hauses geht. Nicht immer förderte das einsichtsreiche Antworten der Kandidaten zutage – manches Mal flüchteten sich die Angesprochenen dann in ein einfaches „will ich unterstützen“ oder „sollte man machen“.
Allerdings hatten die Kandidaten für ihre Antwort auch nur jeweils 60 Sekunden Zeit, nicht viel Raum, um ganze Konzepte auszubreiten. Auch bringt das Wahl-Spiel mit sich, dass jeweils eine Frage an nur einen der Kandidaten geht – manches Mal hätte man als Zuschauer aber gerne gewusst: Wie stehen die anderen Kandidaten denn zu diesem Thema? So klagte etwa ein Vertreter der Gewerkschaft der Polizei aus dem Publikum: „Die Kollegen finden keine Parkplätze am Polizeipräsidium Mainz“, wie denn dort Abhilfe geschaffen werden könne?
Die Frage ging nur leider an den Vertreter der Satirepartei „Die Partei“, und Lukas Haker entgegnete: Man solle doch einfach auf Fahrrad-Cops setzen, „Autos sind so was von 1939.“ Überhaupt positionierte sich der gebürtige Wiesbadener eher als Randfigur und sorgte mit Sätzen wie „Wir sollten das Internet wieder abschaffen“ zwar für Schmunzler, aber auch für wenig Erkenntnisgewinn – sein Vorgänger hatte bei der OB-Wahl 2019 immerhin noch für pfiffige Nachdenk-Einwürfe von der Seitenlinie gesorgt.
Verkehrswende, mehr Kitapersonal und Nachtbürgermeister
Aufschlussreicher war es da schon, wenn ausgerechnet an den grünen OB-Kandidaten Christian Viering die Frage nach der Verkehrswende ging. Er wolle, dass Mainz „mehr Bus und Bahn“ bekomme, „und eine klare Vorfahrt fürs Rad“, antwortete dieser, und betonte zugleich in Richtung Gewerkschaften: Das kommende 49-Euro-Ticket dürfe „auf keinen Fall dazu führen, dass Arbeitsbedingungen bei der Mainzer Mobilität schlechter werden.“
CDU-Kandidatin Manuela Matz hingegen forderte, sie wolle ein Gesamtverkehrskonzept für Mainz entwickeln – das es in der Tat bisher nicht gibt. Alle Verkehrsträger müssten dabei gleichberechtigt behandelt werden, „jedes hat für sich gute Argumente“, betonte Matz. Die amtierende Wirtschaftsdezernentin war zudem gefragt worden, was sie als erstes umsetzen würde im Fall ihrer Wahl, neben mehr Kitapersonal und günstigem Wohnraum nannte sie explizit auch mehr Wasser und mehr Grün in der Innenstadt. Zudem sprach sich Matz dafür aus, dass der Nachtkulturbeauftragte eine hauptamtliche Stelle werde und personelle Unterstützung bekomme.
An SPD-Kandidatin Mareike von Jungenfeld, finanzpolitische Sprecherin der SPD im Stadtrat, ging wiederum die Frage, wie sie mit dem neuen Millionen-Einkommen der Stadt umgehen wolle. Es sei falsch, „mit der Gießkanne durch die Stadt zu gehen“, antwortete die, sie wolle eine Priorität in Sachen familienfreundliche Stadt setzen und etwa Zuschüsse für kostenlose warme Mahlzeit in Kitas finanzieren.
Streit um die Schaffung von günstigem Wohnraum
„Warum müssen wir jetzt auf Zuschüsse warten“, hakte da Nino Haase, parteiloser OB-Kandidat ein: „Vor zwei Monaten haben Sie als Ampel einen neuen Haushalt eingebracht – und Sie haben die Haushaltsrede für die SPD gehalten“, hielt er der SPD-Stadträtin von Jungenfeld vor: „Das sind Kernforderungen der SPD, warum müssen wir darauf warten, dass die durchgesetzt werden?“ Solche Aussagen kämen „bei der SPD nur im Wahlkampf“, kritisierte Haase, genau deswegen trete er als OB-Kandidat an.
Das Kontra des Kontrahenten sah die Spielordnung immer dann vor, wenn ein Kandidat die Rote Interventions-Karte zückte – und immer dann wurde es spannend: Dann wurden anhand von Rede und Gegenrede die unterschiedlichen Haltungen der Kandidaten sichtbar. Das galt vor allem für das Thema Wohnen: „Die Immobilienpreise in Mainz sind explodiert, nun sollen auch noch mehrere Tausend Arbeitsplätze bei Biontech hinzukommen“, trugen die DGB-Moderatoren vor – die Gewerkschaft fordere dringend mehr bezahlbaren Wohnraum.
Linken-Kandidat Martin Malcherek, an den die Frage zuvorderst ging, hatte da leichtes Spiel: „Wir als Linke haben im Stadtrat gefordert, 100 Millionen Euro auszugeben für Baugrunderwerb“, betonte der OB-Kandidat: „Wir müssen einen ‚Doppelwumms‘ in Grundstücke investieren, um den Anstieg der Preise zu begrenzen.“ Denn die Lage in Mainz sei schon 1992 schlimm gewesen, „als ich meine erste Wohnung gesucht habe“, stichelte Malcherek in Richtung SPD und regierende Grüne: Geändert habe sich seither nicht viel.
Viering zu Wohnbau: „Es gibt Grenzen des Wachstums“
„Wir müssen uns ehrlich machen, und den Menschen sagen: es gibt auch Grenzen des Wachstums“, hakte daraufhin Grünen-Kandidat Viering ein, man könne nicht „ständig weiter alles zubauen.“ Auch einen neuen Stadtteil zur Schaffung von mehr Wohnraum lehne er ab – Experten fordern bereits seit Jahren: In Mainz müsse auf einen Schlag mehr Wohnraum entstehen, damit die Preise am Markt überhaupt sinken könnten.
Die Mainzer CDU hatte genau aus diesem Grund 2017 das Thema „neuer Stadtteil für Mainz“ auf die Tagesordnung gehoben, seither aber ist nicht viel in diese Richtung geschehen – obwohl Michael Ebling das Thema 2019 nach seiner Wiederwahl als OB zur Chefsache machen wollte. CDU-Kandidatin Manuela Matz tritt weiter für einen neuen Stadtteil ein und betonte am Donnerstag, beim Thema günstiger Wohnraum wolle sie mehr Potenziale bei der Mainzer Wohnbau aktivieren – günstiger Wohnraum sei durchaus auch entscheidend bei der Fachkräftegewinnung.
„Ich sehe das anders mit dem Baustopp“, konterte auch FDP-Kandidat Marc Engelmann die Aussagen Vierings: „Solange Leute in die Stadt ziehen wollen, müssen wir in die Höhe und Breite bauen – sonst steigen die Preise, wie wir ja sehen.“ Das sei gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel und den Mangel an Erzieherinnen in den städtischen Kitas wichtig, „da wäre es fatal zu sagen: wir bauen nicht mehr“, betonte Engelmann.
Park am Schloss, Solarenergie und mehr Geld für Erzieher
Auch Mareike von Jungenfeld betonte in einem Redebeitrag: „Wir brauchen weniger versiegelte Flächen in der Innenstadt“, und verwies auf die Idee eines „Parks der Generationen“ zwischen Kurfürstlichem Schloss und Mainzer Landtag. „Ich möchte den Ernst-Ludwig-Platz als Park der Geberationen gestalten, mit Wasserspielplatz und Raum für Jugendliche“, sagte von Jungenfeld – und einer autofreien Zone auf der Großen Bleiche zwischen Flachsmarktstraße und Rheinufer.
Wie sie allerdings mehr günstigen Wohnraum schaffen wollen – diese Antwort blieben die Kandidaten von Grünen und SPD schuldig. Nicht gefragt zu dem Thema wurde Nino Haase, er wiederum bekam eine Frage zum Thema Umwelt und Klimaschutz, und nutzte die zu betonen, das Thema Umwelt habe bei ihm „höchste Priorität“. Mainz müsse auf seinem Stadtgebiet dringend mehr Erneuerbare Energien erzeugen, forderte Haase: „Städte wie Tübingen haben sich Ziele wie 70 Prozent Erneuerbare gesetzt.“ Mainz nutze da viel zu wenig seine Potenziale – etwa bei der Solarenergie.
Einen großen Raum nahm auch die Frage von Ausbildung, Attraktivität der Stadt Mainz als Arbeitgeber sowie der Erzieherinnenmangel ein. „2019 hatten wir in den Kitas 65 unbesetzte Planstellen – jetzt sind es 130“, rechnete Nino Haase vor: „Da sind ein paar Dinge, die falsch laufen.“ Die Anwerbung neuer Erzieherinnen funktioniere schlicht nicht, der Beruf müsse attraktiver werden, die Menschen schon in der Ausbildung Geld verdienen. Haase plädierte deshalb für eine 8b-Besoldung von Erzieherinnen – und schlug vor, „eine Ausbildungsstiftung schaffen, und aus dem Stiftungsvermögen die Ausbildung zu fördern.“ Mehrere hundert Fachkräfte pro Jahr könnten so finanziert werden.
Wie wird Mainz ein attraktiverer Arbeitgeber?
„Wir müssen den Mietmarkt entspannen, und das Leben in der Stadt attraktiver machen“, lautete das Rezept von Martin Malcherek auf die Frage, wie Mainz als Arbeitgeber wieder attraktiver werde. Auch er plädierte für bessere Bezahlung – „eine Stufe höher im Tarifvertrag – und schlug vor, die Stadt könnte auch Wohnheime für Auszubildende und Studierende betreiben.
Auch Matz betonte, günstiger Wohnraum sei „sehr entscheidend“ für eine erfolgreiche Anwerbung von Fachkräften, auch sie sprach sich für „monetäre Anreize“ für Kitapersonal aus. „Wir müssen mehr Unterstützung geben, wenn Mitarbeiter nach Mainz kommen wollen“, sagte Matz zudem, dazu gehöre auch, dass Homeoffice „gang und gäbe“ werden müsse.
„Wir brauchen richtig gute Rahmenbedingungen als Arbeitgeber, und das ist mir wichtig“, sagte SPD-Kandidatin von Jungenfeld zu diesem Themenbereich, nannte an konkreten Maßnahmen aber lediglich, sie wolle „Intensivieren, was von der Arbeitsagentur läuft.“
Von Skatmeistern, Trainermachern und einem heimischen Zoo
Blieb am Ende noch die Frage: „Was wissen wir von Ihnen noch nicht?“ Und da gab es viel Namhaftes zu erfahren – und manche Überraschung. Dass Nino Haase ausgerechnet nach dem Schlagersänger Nino de Angelo benannt wurde, und Christian Viering eigentlich „Otto“ geheißen hätte, wurde da offenbar, dass Mareike von Jungenfeld eigentlich eine geborene Trautwein ist, und Martin Malcherek mit zweitem Vornamen Alfred heißt – und in München geboren wurde.
Spannender wurde es, als Marc Engelmann bekannte, er sei mal Jjunioren-Mannschaftsmeister im Skat gewesen, während von Jungenfeld offenbarte, dass sie einst Rheinhessen-Meisterin im Speerwurf war. „Ich habe einen kleinen Zoo“, bekannt derweil Manuela Matz: Fünf Hühner zwei Hunde, drei Schildkröten, dazu Sittiche und Fische tummelten sich bei ihr Zuhause. Nur beim Minischweinchen habe ihre Familie gestreikt.
Die erstaunlichste Geschichte aber hatte Martin Malcherek zu berichten: „Ich habe Jürgen Klopp zum Trainer gemacht“, bekannte der Linken-Politiker überraschend – und berichtete, wie er einst auf einer Rückfahrt von einem Auswärtsspiel von Mainz 05 im Bus just neben dem Mainzer Kult-Trainer zu sitzen kam. Das war allerdings zu einer Zeit, als Mainz 05 noch weit von der Bundesliga entfernt, und Jürgen Klopp einfacher Spieler war. „Jürgen“, habe er damals im Spaß gesagt, berichtete Malcherek: „Die Lage ist aussichtslos, wie wär’s: Du wirst Trainer, ich werd‘ Präsident.“ Zumindest einer wurde danach genau das Vorgeschlagene – Martin Malcherek hat nun noch die Chance, Mainzer Oberbürgermeister zu werden.
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