Die Trauer in Mainz ist immens, die ganze Stadt hält an diesem Sonntag inne: Am frühen Morgen ist Karl Kardinal Lehmann, der Mainzer Altbischof, gestorben. Mit nur 81 Jahren erlag Lehmann am Sonntag, 11. März, gegen 4.45 Uhr den Folgen eines Schlaganfalls. Vor wenigen Tagen hatte das Bistum bekannt gegeben, Lehmann gehe seiner letzten Pilgerfahrt entgegen, nun trat er sie an. Die Trauer und Bestürzung sind groß: Politiker aller Richtungen, aus Land und Bund, dazu natürlich Kirchenvertreter, aber nicht zuletzt die Bevölkerung, sie alle trauern um einen großen Menschen, Bischof und Kirchenlenker. „Er wird uns fehlen“, war einer der häufigsten Sätze. Beigesetzt wird Lehmann am 21. März in der Bischofsgruft des Mainzer Doms.

Kardinal Karl Lehmann 2016 bei der Messe zu seinem Abschied als Bischof von Mainz im Mainzer Dom. – Foto: Screenshot gik

Um 14.30 Uhr am Sonntag verkündete die große Martinusglocke des Mainzer Doms es aller Welt: Karl Kardinal Lehmann ist tot. 30 Minuten lang dröhnte die große Glocke vom Turm des Mainzer Doms gemäß der Botschaft ihrer Inschrift: „Nur das Erste, das Erhabene künd‘ ich euch, Siegesbotschaft, Friedenskunde, Großer Männer Todesstunde.“ Es war die Todesstunde eines großen Mannes, die von der großen Glocke verkündet wurde: „Karl Kardinal Lehmann wurde am heutigen Sonntag aus seinem irdischen Leben von Gott zu sich gerufen.“

55 Jahre lang war er Priester, 33 Jahre lang Bischof von Mainz, erst im Mai 2016 hatte er das Bischofsamt von Mainz niedergelegt: Nur knapp zwei Jahre nach seinem Eintritt in den Ruhestand erlag Lehmann mit gerade 81 Jahren den Folgen eines Schlaganfalls. Im September 2017 hatte Lehmann den Schlaganfall mitsamt einer Hirnblutung erlitten, seither hatte sich der Altbischof in Reha befunden, es gehe ihm gut, hatte es immer wieder geheißen. Doch vor wenigen Tagen teilte das Bistum dann mit: „Seine Kräfte schwinden deutlich, so dass wir in nächster Zeit um sein Leben bangen müssen. Er selbst hat signalisiert, dass er sich nun auf den Weg macht – das letzte Stück seiner irdischen Pilgerreise.“

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Die letzte Messe als Bischof von Mainz zelebrierte Kardinal Karl Lehmann am 16. Mai 2016 im Dom zu Mainz. Nun ist er mit 81 Jahren gestorben. – Foto: Screenshot gik

Am Sonntagmorgen dann verkündete Lehmanns Nachfolger, der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf Lehmanns Tod: „Das Bistum Mainz trauert um einen weit über die Kirche hinaus hoch anerkannten Theologen und Seelsorger, einen leidenschaftlichen Brückenbauer zwischen den Konfessionen und einen Zeugen des Glaubens inmitten der Gesellschaft. Wir verlieren einen allseits geliebten Bischof, der mit seiner Lebensfreude, seiner Menschlichkeit und seinem Glaubenszeugnis in den vielen Jahren seines Wirkens nicht nur im Bistum Mainz, sondern auch in der Deutschen Bischofskonferenz als langjähriger Vorsitzender Herausragendes geleistet hat. Wir danken Gott für das Geschenk seines Lebens und bitten um das Gebet für unseren verehrten Kardinal.“

Karl Kardinal Lehmann hat die deutsche katholische Kirche und das Bistum Mainz geprägt wie kein anderer: Am 3. Juni 1983 wurde der Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie zum Bischof von Mainz gewählt, 21 Jahre lang lenkte er als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die Geschicke der Katholiken in Deutschland. Es waren harte Jahre: Lehmann kämpfte um Einheit unter den deutschen Bischöfen, und er kämpfte gegen einen zunehmend dogmatischen Katholizismus aus Rom und in den eigenen Reihen.

„State in Fide“, steht fest im Glauben, lautete sein Leitspruch als Mainzer Bischof, und in allen Kämpfen stand Lehmann fest auf seinen Überzeugungen. Es war genau das, was ihm die Anerkennung aller Seiten, aus der Politik und auch von seinen Gegnern einbrachte: Lehmanns Überzeugungen waren fest verwurzelt in einem humanistischen Menschenbild und in seinem katholischen Glauben. Der Theologieprofessor – mit nur 32 Jahren der jüngste Deutschlands – war ein tiefer Kenner seines Glaubens, der Bibel, aber auch der theologischen Wissenschaft. Kaum jemand konnte seinem reichen Wissen das Wasser reichen – Lehmann stand fest auf den theologischen Wurzeln, das verschaffte ihm Respekt bei Freunden und Gegnern.

Kardinal Karl Lehmann beim Festakt zu seinem Abschied als Bischof von Mainz in der Rheingoldhalle im Mai 2016. – Foto: Screenshot gik

Es war das Zweite Vatikanische Konzil, das den jungen Priester Karl Lehmann zutiefst geprägt hatte, der Aufbruch und die Offenheit jener Zeit, die Lehmann als Student in Rom hautnah miterlebte. Dort traf er die großen Theologen seiner Zeit, dort traf er auch den berühmten deutschen Konzilstheologen Karl Rahner, an dessen Seite Lehmann das Zweite Vatikanische Konzil erlebte. Lehmann, am 16. Mai 1936 in Sigmaringen als Sohn eines Volksschullehrers geboren, hatte ab 1957 Theologie und Philosophie in Rom studiert. Von dort brachte er eine menschenzugewandte Kirche mit, die er Zeit seines Lebens praktizierte.

Aus Rom brachte Lehmann aber auch ein tiefes Wissen über die Kurie und den Vatikan mit. „Wer die Hintertreppen des Vatikans kennt, der überlebt auch den Aachener Karneval“, sagte er einst – da zeichneten die Karnevalisten den Mainzer Bischof gerade mit dem „Orden wider den tierischen Ernst“ aus. Nur eine Würdigung passte vielleicht noch besser zu ihm: 2002 wurde Lehmann mit dem „Goldenen Schlitzohr“ ausgezeichnet. Es würdigte einen Mann, der längst zum großen Brückenbauer und Diplomaten geworden war, einem Kirchenlenker, der nach Ausgleich und Versöhnung strebte.

Lenker des Bistums und der katholischen Kirche in Deutschland: Kardinal Karl Lehmann. Foto: Bistum Mainz

Doch Lehmann war auch Kämpfer und Streiter für seine Überzeugungen. 1987 wurde er überraschend zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt, und er machte daraus ein Bollwerk gegen reaktionäre Tendenzen. Immer wieder musste Lehmann die vergleichsweise liberalen Positionen der Deutschen gegenüber dem mehr an Strenge strebenden Rom vertreten. Der Mainzer Bischof machte mit klaren Worten für Ökumene und zur Zulassung von Frauen als Diakoninnen sowie zu Kirchenvolksbegehren und zur Anerkennung von Homosexuellen von sich reden.

Zum Tiefpunkt der Konflikte mit Rom wurde 1998 der Papstbrief zum Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung. Lange hatte Lehmann mit Papst Johannes Paul II. in dieser Frage gerungen, lange für den Verbleib der Kirche in der Beratung gekämpft – Lehmann sah die Beratungsstellen immer als Hilfe für die ringenden Frauen. Der Papst entschied anders und verfügte den Ausstieg – es war eine bittere Niederlage für Lehmann. Aufgeben kam gleichwohl nie in Frage für den Mainzer Bischof: Er suchte nach Wegen, die Beratung zu retten, sprach von „Umstieg statt Ausstieg“ – und half tatkräftig mit bei der Gründung des kirchlich getragenen Vereins Donum Vitae mit.

Die folgenden Jahre bemühte sich Lehmann, den tiefen Graben zwischen Rom und den deutschen Bischöfen zu schließen, leicht war das nicht. Sein standhaftes Eintreten für seine Haltung galt als der Grund, warum Johannes Paul II. ihm lange die längst überfällige Ernennung zum Kardinal verweigerte. 2001 ernannte der Papst in Rom 37 neue Kardinäle – nur Lehmann war wieder nicht dabei. Das Grummeln aus Mainz und aus Deutschland muss bis nach Rom geschallt haben: Neun Tage später schob der Papst die Ernennung einiger Kardinäle nach – darunter auch die von Bischof Karl Lehmann. Die Mainzer jubelten und feierten die hohe Ehre – Lehmann war längst ihr „Karlchen“, ihr „Lehmännchen“ geworden.

Karl Lehmann und die Bücher: Der wissenshungrige Büchernarr las und schrieb oft nächtelang – und veröffentlichte selbst mehr als 30 Bücher. – Foto: Bistum Mainz

1968 war Lehmann Theologieprofessor in Mainz geworden, bevor er 1971 an die Universität Freiburg ging. Von dort kam er als Bischof nach Mainz, und die Mainzer merkten schnell, was sie an dem jungen Kirchenmann hatten: Lehmann predigte Toleranz, wo andere Bischöfe seiner Zeit – allen voran der Fuldaer Dyba – für Ausgrenzung und Spaltung standen. Lehmann bewies Humor, posierte auch schon mal mit Narrenkappe und Fastnachtsorden, feierte bei Fastnachtssitzungen in vorderster Reihe mit. Auch ins Fußballstadion zog es den Bischof, auf der Tribüne saß er mit dem Fanschal um den Hals zwischen den Menschen und kickte auch schon mal für einen guten Zweck den Ball auf dem Rasen ins Tor. „Das Normale hat seine eigene Würde“, hat Lehmann einmal gesagt – er selbst bekannte sich offen dazu, Abba-Fan zu sein und flanierte gerne an Markttagen über die Domplätze, immer das Gespräch mit den Menschen suchend.

Es war wohl seine unendliche Neugier auf Gott und die Welt, die den Mainzer Bischof mitten im Leben hielt. Legendär ist seine Bücherliebe, mehr als 120.000 Bücher soll seine Privatbibliothek im Bischofshaus umfassen. Aus einer Buchhandlung kam er nie ohne einen Stapel Bücher heraus, Lehmann verschlang Bücher – und er schrieb sie, nächtelang, und immer mit der Hand. Mehr als 30 Bücher hat Lehmann veröffentlicht, 4.200 gedruckte Seiten von Hirtenbriefen und anderen Schriften, ungezählte Predigten. Lehmann blieb, auch als Diplomat und Kirchenlenker, immer auch Kirchenlehrer, sein Rat wurde von Politikern aller Couleur gesucht und geschätzt – auch in Europa. Lehmann war längst zum leidenschaftlichen Europäer geworden, die Laudatio beim Festakt zu seinem Abschied hielt niemand Geringeres als der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD). Im Alter fand der Bischof und Kardinal einen Weg, seiner Haltung aller Gegenwehr zum Trotz dennoch einen Weg zu bahnen und erlebte mit Genugtuung, wie ihm die Kirche wieder entgegen kam. „Nachdenken“, sagte er einmal im Gespräch mit Journalisten, „hat die Kirche noch nie verboten.“ Nur infrage stellen dürfe man sie eben nicht – da war Lehmann allen „liberalen“ Meinungen zum Trotz, streng konservativ.

Am Ende verließen ihn die Kräfte: Lehmann bei der Bischofsweihe seines Nachfolgers Peter Kohlgraf im Mainzer Dom. – Foto: gik

Er messe „mit langem Atem“, sagte Lehmann bei seiner letzten Pressekonferenz zu seinem Abschied als Mainzer Bischof im Frühjahr 2016, gerade auch was die Entwicklung seiner Kirche angehe. Der Mainzer Bischof hatte nicht, wie andere, mit 70 Jahren seinen Abschied genommen, sondern bis zu seinem 80. Geburtstag durchgehalten – es war wie ein Abschiedsgeschenk an seine Mainzer und an seine katholische Kirche in Deutschland. So nahm Lehmann seinen Abschied erst unter dem reformfreudigen neuen Papst Franziskus – und ersparte so womöglich dem Bistum Mainz die Ernennung eines erzkonservativen Nachfolgers.

Zwei Päpste hatte Lehmann mitgewählt, den konservativen Benedikt und den neuen Papst Franziskus, mit Letzterem verband Lehmann viel Gemeinsames. Lehmanns letzte große Amtshandlung wurde denn auch die Weihe seines Nachfolgers Peter Kohlgraf zum Bischof von Mainz am 27. August 2017. Schon da hielt sich Lehmann nur mit Mühe aufrecht und musste von zwei Seiten gestützt werden. Nur wenige Wochen später streckte ihn ein Schlaganfall mit Hirnblutung nieder.

Die Mainzer waren schockiert, der menschennahe Bischof voller Wissen hat die Stadt und ihre Menschen tief geprägt – weit über die katholische Kirche hinaus. „Ich bin gar nicht katholisch, aber….“ war einer der meist gesagten Sätze am Sonntag und in den Tagen davor: Aber Lehmann habe für die Stadt und für Deutschland viel getan, habe Menschlichkeit und Humanismus bewiesen, habe für Toleranz und eine beeindruckende Frömmigkeit gestanden, die mitten im Leben verwurzelt war. Karl Kardinal Lehmann hat die Menschen tief beeindruckt, die ihn trafen, und er hat Mainz seinen Stempel aufgedrückt, so wie er selbst zu dem weltoffenen, toleranten Mainz passte wie kaum ein anderer. Und so gilt an diesem Sonntag ein weiterer Satz: Er wird uns fehlen.

Gegen 4.45 Uhr am frühen Sonntagmorgen starb Karl Kardinal Lehmann, Alt-Bischof von Mainz in seiner Bischofsresidenz neben dem Mainzer Dom. Eine halbe Stunde lang dauerte das Totengeläut zu seinen Ehren, zu einer ersten Andacht am Sonntagnachmittag um 15.00 Uhr kamen bereits Hunderte Menschen. In seinem letzten Gottesdienst als Bischof von Mainz sagte Lehmann zum Abschied: „Seid wachsam, seid mutig, seid stark – und alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe.“

Info& auf Mainz&: Die Beisetzung Lehmanns findet am Mittwoch, den 21. März, statt: Bereits ab dem kommenden Dienstag, den 13. März, ab 17.00 Uhr wird Lehmann in der Seminarkirche in der Mainzer Augustinerstraße aufgebahrt. An den Folgetagen – ab Mittwoch, 14. März – ist die Seminarkirche jeweils von von 9.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Bis zum Dienstag, 20. März, wird in der Seminarkirche täglich um 12.00 Uhr die Sext gebetet, täglich wird außerdem um 17.00 Uhr von den Mitgliedern des Domkapitels abwechselnd ein Requiem gefeiert. In der Seminarkirche liegt auch ein Kondolenzbuch aus. Am 21. März wird Lehmann dort ab 14.00 Uhr verabschiedet. Von der Seminarkirche wird ein Trauerzug über Augustinerstraße, Leichhof, Schöfferstraße, Höfchen und die Domplätze zum Bischofsportal des Mainzer Doms führen. Dort findet um 15.00 Uhr das Requiem, die Totenmesse für Lehmann, statt. Der verstorbene Mainzer Bischof wird anschließend in der Bischofsgruft des Mainzer Doms beigesetzt. Mehr zu Karl Kardinal Lehmann lest Ihr in diesem Mainz&-Porträt zu seinem Abschied als Mainzer Bischof im Jahr 2016 sowie in diesem Mainz&-Bericht vom Abschied selbst am 16. Mai 2016. Die Bischofsweihe seines Nachfolgers Peter Kohlgraf, die Lehmann vornahm, könnt Ihr hier nachlesen. Mehr Reaktionen zu Lehmanns Tod gibt es gleich hier auf Mainz&.

 

 

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