Debakel im Deutschen Bundestag: Eine Impfpflicht wird es vorerst in Deutschland nicht geben. Trotz wochenlangen Debatten, konnte sich die Politik nicht auf ein Vorgehen bei einer Impfpflicht einigen. Weder eine allgemein Impfpflicht ab 18 Jahren, noch eine Impfpflicht ab 60 Jahren fanden im Deutschen Bundestag am Donnerstag eine Mehrheit. Auch ein Gegenantrag der CDU-Opposition zur Einführung eines Impfregisters samt späterer Entscheidungen über eine Impfpflicht scheiterte. Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) sprach in Mainz von einem „fatalen Signal“ – und warnte: Im Herbst drohen nun wahrscheinlich neue Corona-Beschränkungen.

Keine Impfpflicht, keine Einheitlichkeit in seiner Regierungs-Koalition: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). - Screenshot: gik
Keine Impfpflicht, keine Einheitlichkeit in seiner Regierungs-Koalition: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). – Screenshot: gik

Das Scheitern einer allgemeinen Impfpflicht ist vor allem einen Niederlage für die SPD: Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) hatten monatelang eindringlich für eine allgemeine Impfpflicht geworben. Mit der Impfpflicht sollte in Deutschland endlich die bei rund 75 Prozent stagnierende Impfquote angehoben werden – noch immer sind laut Robert-Koch-Institut nur76 Prozent der Menschen in Deutschland grundimmunisiert, 58,9 Prozent haben zusätzlich eine Booster-Impfung erhalten.

Das Problem dabei: Noch immer sind rund drei Millionen Menschen über 60 Jahren ungeimpft, das sei jeder Achte, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgerechnet. Zudem schütze eine Omikron-Infektion nicht sicher vor weiteren Ansteckungen – derzeit infizieren sich bei anhaltend hoher Corona-Inzidenz Menschen in Scharen mit dem Coronavirus, nicht wenige davon auch schon zum zweiten oder dritten Mal. Virologen und Ärztevertreter hatten deshalb unermüdlich eine Impfpflicht gefordert: Nur so könne die Impflücke in Deutschland geschlossen, und das Gesundheitssystem vor einer Überlastung bewahrt werden – vor allem, wenn im kommenden Herbst neue Coronawellen drohten.

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Ein gravierendes Problem dabei: Deutschland hat auch nach zwei Jahren Pandemie keine exakten Zahlen über das Ausmaß der Impfungen in der Bevölkerung – Experten gehen davon aus, dass die Impfquote wahrscheinlich etwa 5 Prozentpunkte höher liegen könnte. Bis heute hat Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern wie etwa Dänemark kein Impfregister, Datenschützer hatten dem einen Riegel vorgeschoben.

Warb für einen eigenen Antrag der Unionsfraktionen für ein Impfregister: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. - Screenshot: gik
Warb für einen eigenen Antrag der Unionsfraktionen für ein Impfregister: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. – Screenshot: gik

Die Unionsfraktionen hatten deshalb einen Antrag vorgelegt, der zuerst den Aufbau eines Impfregisters vorsah, und danach einen „gestuften Impfmechanismus“, den Bundestag und Bundesrat bei verschärfter Pandemielage hätten in Kraft setzen können – eine Pflicht zum Impfen hätte dann auch für gefährdete Bevölkerungsgruppen beschlossen werden können. Doch eine Mehrheit fand auch dieser Antrag nicht, 497 Abgeordneten stimmten gegen das sogenannte Impfvorsorgegesetz.

Zum Debakel wurde die Sitzung aber vor allem für die Kanzlerpartei SPD: Der Koalitionspartner FDP hatte von Anfang an eine Impfpflicht blockiert, ein Antrag aus FDP-Reihen rund um FDP-Vize Wolfgang Kubicki gegen eine allgemeine Impfpflicht fiel ebenfalls mit großer Mehrheit durch. Es sei nicht Aufgabe des Staates, die Menschen zum Impfen zu zwingen, argumentierte Kubicki. Doch damit hatte die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP keine eigene Mehrheit für ihr Vorhaben mehr, Kanzler Scholz zeigte sich nicht in der Lage, seine Koalitionäre hinter seiner Regierungslinie zu vereinen. So fiel auch der in letzter Minute erarbeiteter Kompromissvorschlag für eine Impfpflicht ab 60 Jahren durch: nur 296 stimmten dafür, 378 aber dagegen.

 

Dabei hatte Lauterbach wiederholt betont, die Impfpflicht ab 60 Jahren werde bestimmt eine Mehrheit finden: Die Grenze bei 60 Jahren zu ziehen sei sinnvoll, weil es ab dieser Altersstufe die meisten Todesfälle nach einer Corona-Infektion gebe. Mit dieser Grenze könnten deshalb „90 Prozent der durch Impfung vermeidbaren Todesfälle verhindern, das kriegen wir mit großer Wahrscheinlichkeit am Donnerstag durch“, sagte der Minister am Dienstagabend in der Talkshow „Markus Lanz“.

Warb noch einmal eindringlich für eine Impfpflicht, allerdings vergeblich: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). - Screenshot: gik
Warb noch einmal eindringlich für eine Impfpflicht, allerdings vergeblich: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). – Screenshot: gik

Auch im Deutschen Bundestag warb Lauterbach am Donnerstag noch einmal vehement für die Impfpflicht: „Hätten sich alle nicht impfen lassen, hätten wir jetzt eine lupenreine Katastrophe und wären im Lockdown“, sagte der Minister. Im Herbst seien wieder neue, „sehr gefährliche Varianten“ des Coronavirus Sars-CoV-2 möglich. Selbst wenn im Herbst „nur“ die Omikron-Variante zurückkehre, werde das wieder bedeuten, dass pro Tag 200, 300 Menschen an dem Virus stürben, rechnete Lauterbach vor: „Wollen wir das wirklich als Gesellschaft akzeptieren? „Wollen wir uns wirklich daran gewöhnen, dass jeden Tag 200, 300 Menschen sterben? Das kann keine humane Gesellschaft für uns sein!“

Die FDP argumentierte hingegen, Einschränkungen gegen das Corona-Virus seien nur noch rechtlich durchsetzbar, wenn das Gesundheitssystem überlastet sei – und das sei derzeit schlicht nicht der Fall. Das allerdings stimmt so nicht: Viele Kliniken ächzen unter einer großen Menge Corona-Patienten, die zwar nicht mehr auf den Intensivsta5tionen liegen, aber auch die Betreuung auf den „Normalstationen“ ist aufwändig. Dazu kommt.; Den Kliniken fehlt massiv Personal, weil viele beschäftigte selbst mit Corona infiziert sind. Zudem sterben auch mit der Omikron-Variante weiter sehr viele Menschen an den Folgen einer Covid-Erkrankung: Das RKI meldete am Donnerstag erneut 328 Todesfälle.

Corona sei weiter nicht harmlos, warnen deshalb Experten wie der Virologe Christian Drosten: Zwar sei die Omikorn-Variante nach derzeitigem Kenntnisstand milder im Verlauf, weil es aber zu viele Fälle seien, werde dieser Gewinn „wieder ausgelöscht“, sagte der Virologe von der Berliner Charité. Die Zahl der schwer Erkrankten sei im Endeffekt doch wieder sehr hoch – was wiederum die Kliniken stark belastet. Dort werden auch bereits wieder nicht notwendige Operationen wegen Personalmangels verschoben – berichtet wird darüber kaum noch.

 

Der Mainzer Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) zeigte sich denn auch vom Scheitern sämtlicher Impfpflicht-Varianten enttäuscht: „Das Signal ist fatal“, sagte Hoch am Donnerstag in Mainz: „Wir hätten in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht dringend gebraucht, denn wir erwarten spätestens im Herbst eine weitere Welle.“ Diese werde die Einrichtungen erneut belasten, insbesondere wegen des hohen Risikos für schwere Verläufe bei den ungeimpften über 60jährigen Menschen.

Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) vor einem Impfbus. - Foto: RLP
Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) vor einem Impfbus. – Foto: RLP

„Wir müssen auch weiterhin mit neuen Virusvarianten rechnen“, warnte der Minister zudem. Daher sei auch nicht ausgeschlossen, „dass wir wieder Maßnahmen brauchen, die von einer breiten Akzeptanz getragen werden müssen.“ Die sei aber nicht garantiert, wenn es kein Instrument gebe, „das auch jene in die Pflicht nimmt, die bisher glaubten, die Pandemie gehe sie nichts an und die Verantwortung für den Weg zurück in die Normalität läge bei allen anderen“, kritisierte Hoch. Bei einem erneuten Anstieg der Zahl schwerer Erkrankungen werde daher zum Schutz des Gesundheitssystems die Frage aufkommen, ob einschränkende Maßnahmen noch stärker als bisher auf die Gruppe der Ungeimpften zugeschnitten werden müssten.

„Es ist schwer vermittelbar, Einschränkungen für die jüngere Generation damit zu begründen, dass wir in Deutschland zu viele ungeimpfte ältere Menschen haben“, warnte Hoch weiter: „Die heutige Entscheidung ist alles andere als weitsichtig und macht die Herausforderungen im Umgang mit der Pandemie noch größer.“ Zuvor hatte sich die Politik aber auch so gut wie aller Möglichkeiten entledigt, Corona-Maßnahmen wie Maskenpflichten oder Abstandsregeln überhaupt noch verhängen zu können – mehr lest Ihr dazu hier bei Mainz&.

Info& auf Mainz&: Die ganze turbulente Debatte im Deutschen Bundestag könnt Ihr hier auf Youtube ansehen. Mehr zu den Aussagen von Karl Lauterbach in der Sendung Lanz lest Ihr hier bei Mainz&:

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