Leitartikel&: Morgen ist es so weit – am Freitag trifft sich der Landtag in Mainz zur großen Debatte über den Abschlussbericht im Untersuchungsausschuss. Dann geht es um die Frage: Wer trägt die politische (!) Verantwortung für die in der Flutkatastrophe im Ahrtal gemachten Fehler? Dafür, dass Warnungen ausblieben, Evakuierungen eben nicht angeordnet, Medien nicht informiert wurden? Kurz: Wer trägt die Verantwortung für die 136 Toten im Ahrtal? Mainz& kommentiert: Zeigt endlich Größe, liefert endlich eine ehrliche Entschuldigung für all die Fehler – sonst schadet Ihr dem Vertrauen in Politik, Staat und Demokratie.
Knapp drei Jahre, 47 Sitzungen, 294 Stunden und 226 Zeugen – die Arbeit des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal ist enorm. Noch nie hat ein Untersuchungsgremium eines Landtags so eine Aufarbeitung geleistet, noch nie war es so nötig. Stundenlange Zeugenbefragungen, kriminalistischer Spürsinn und akribischste Aktenarbeit waren nötig, um das aufzudecken, was vertuscht werden sollte: Wie sehr der Staat, wie sehr gerade die Landesregierung in Mainz bei der Bewältigung der Flutkatastrophe im Ahrtal und vor allem beim Retten der Menschen versagt hat.
Denn es waren nicht die Helfer vor Ort, nicht die Feuerwehrleute und sonstigen Retter, die die Menschen im Stich gelassen haben in jeder Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. Die „Helden der Flutnacht“ sorgten an so vielen Stellen dafür, dass Menschen eben doch aus ihren Häusern gerettet werden, manche buchstäblich in letzter Sekunde, während das Haus hinter ihnen zusammenbrach. Es war der Staat, der nicht dafür sorgte, dass Warnungen „on air“ gingen, dass Menschen breit und laut gewarnt wurden, der verhinderte, dass Menschen in den Betten ihrer Erdgeschosswohnungen ertranken.
Aufklärung im Namen des Volkes – aber auch FÜR das Volk?
Nun liegen die Erkenntnisse auf dem Tisch, 2.100 Seiten dick, schwarz auf weiß. Man sollte meinen: Nun kann die Politik die Fehler nicht mehr negieren, nun muss sie Farbe bekennen, Fehler eingestehen – wirklich? Wer den Abschlussbericht liest, wird unweigerlich über das Votum der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP stolpern – es ist schwer zu ertragen. Denn die drei Regierungsfraktionen schaffen es, sämtliche Fakten und Aussagen des UA zu negieren und allen Ernstes weiter zu behaupten, die Regierung in Mainz habe nichts falsch gemacht – Schuld sei allein der Landrat.
So werden SPD, Grüne und FDP morgen auch im Landtag argumentieren, der Schaden, den sie damit in der Öffentlichkeit anrichten werden, wird immens sein. Denn der UA-Bericht dokumentiert auf 2100 (!!) Seiten umfassend und ausführlich, wie sehr gerade die Landesebene in der Flutnacht sich weggeduckt hat, Dienst nach Vorschrift gemacht hat, und ihrer Verantwortung für die Menschen eben NICHT nachgekommen ist. „Der Staat hat sein wichtigstes Versprechen in jener Nacht gebrochen“, sagte ein Gutachter im UA: „Das Versprechen, seine Bürger zu schützen.“
Wer sich nur ein einziges Mal im Ahrtal umgehört hat, der weiß: Der Frust bei den Menschen sitzt tief. Das Vertrauen in den Staat und in die Politik ist nachhaltig erschüttert. Der Umgang der Ampel-Regierung in Mainz mit der Flutkatastrophe, mit ihren Opfern, mit den gemachten Fehlern – er macht die Menschen bis heute fassungslos. Weil sich die Politik (bisher) nicht ein einziges Mal zu einem ehrlichen „Sorry“ durchringen konnte. Weil sie nicht ein einziges Mal Fehler eingestand – nicht einmal, als ihre Minister Roger Lewentz (SPD) und Anne Spiegel (Grüne) zurücktraten. Nicht einmal, als Malu Dreyer (SPD) als Ministerpräsidentin abtrat.
Vertrauen in Staat, Politik und Demokratie – im Ahrtal tief erschüttert
Wer sich nur ein einziges Mal ehrlich im Ahrtal umgehört hat, der weiß: Diese Politiker haben im Ahrtal fertig. Und mit ihnen – und das ist viel schlimmer – hat auch die Politik fertig. Das Vertrauen in den Staat ist massiv erschüttert, vor allem das Vertrauen, dass der Staat wirklich hilft und schützt. Wer es lieber in Zahlen haben will, wurde im Juli bei einer Umfrage des SWR fündig: 72 Prozent der Befragten in Kreis Ahrweiler meinten da, die Landesregierung werde ihrer Verantwortung für den Wiederaufbau nicht gerecht – drei Jahre nach der Flut ist das ein Armutszeugnis.
“Schnelle und unbürokratische Hilfe” hatte die Politik direkt nach der Flutnacht versprochen, für viele Betroffene klingt das heute nur noch wie Hohn: Drei Jahre danach warten immer noch zu viele Flutbetroffene im Tal auf Finanzhilfen und Baugenehmigungen, stehen Bauruinen neben brandneu wiederaufgebauten Häusern, verhindern tiefe Erschöpfung und Frust einen echten Aufbruch. Das liegt auch daran, dass die Politik nie den entscheidenden Schritt gemacht hat, der für eine Aufarbeitung so unverzichtbar ist: Ein echtes Eingeständnis von Fehlern. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung von höchster Stelle.
Malu Dreyer hat das ihrem Land verwehrt – der Fehler nagte sichtlich an der Ministerpräsidentin, die Last der Flutkatastrophe war einer der Gründe für ihren Rückzug im Mai 2024. „Politische Entschuldigungen sind Ausdruck kollektiver Reue für Taten, ihr Sinn besteht in der Anerkennung kollektiver Schuld und Verantwortung“, heißt es in einem Grundsatzessay bei der Bundeszentrale für Politische Bildung. Das ist genau der Punkt: Es ist die Anerkennung dessen, dass eben nicht alles super gelaufen ist, dass der Staat Fehler gemacht hat – und dass er bereit ist, daraus zu lernen.
Ampel-Fraktion im UA-Bericht: Keine Fehler gemacht
Wer sich nach 2,5 Jahren intensivster Spurensuche und Aufarbeitung, nach hundertfach dokumentierten Pannen und Fehlern nun hinstellt und meint, sagen zu können, „wir haben nichts falsch gemacht“, der untergräbt vollends das Vertrauen der Menschen in diesem Land – in den Staat, in die Politik, in die Demokratie. Fehler passieren, sie dürften es niemals in diesem Ausmaß, aber es ist eben passiert – schlimm genug. Jetzt aber auch noch diese Fehler schlicht zu negieren, sie nicht einmal eingestehen zu können – das ist erbärmlich.
Es ist arrogant und – ehrlich gesagt – widerlich, denn es ist ein neuerlicher Schlag in die Gesichter der Angehörigen jener 136 Opfer im Ahrtal, von denen nach seriösen Schätzungen von Experten rund 80 heute noch leben könnten. Wenn denn staatliche Stellen ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Wenn Verantwortliche von Staats wegen gerade in Mainz und Trier eben NICHT weggeguckt hätten und sich zu Bett gelegt hätten. Wenn sie auf der Kommandobrücke gestanden, Medien informiert und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätten, um Menschenleben zu retten.
Und SPD, Grüne und FDP sollten sich keine Illusionen machen: Was sie morgen im Landtag zu diesem Thema sagen, was sie zur Bilanz der Flutkatastrophe und zur Verantwortung ihrer eigenen Leute sagen – es wird gehört werden. Die Menschen werden es wahrnehmen, und sie werden sehr genau hinhören, was die Herren und Damen von Regierungsseite dazu zu sagen haben. Es ist die letzte Chance für die Regierung, auf die Menschen zuzugehen, nicht nur im Ahrtal, sondern überall: Der Umgang mit der Flut und ihren Opfern gilt vielen als Prüfstein dafür, wie die Politik insgesamt mit ihren Bürgern umgeht.
Das Schicksal des Ahrtals – in Mainz gerne verdrängt
Bislang ist die Bilanz keine gute. Die meisten haben das Gefühl, das Ahrtal sei den Regierenden in Mainz egal, das Schicksal der Tausenden von Betroffenen vergessen. Wie sonst ist es zu erklären, dass erst jetzt, drei Jahre nach der Flut, der neue Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) erste zaghafte Änderungen bei der Landesbank ISB in Sachen Antragsberatung vornimmt? Warum ist das nicht längst passiert? Warum kommt erst jetzt die Neufassung des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes – und wird es wirklich helfen, im Ernstfall Menschenleben zu retten oder doch wieder nur bürok4ratische Strukturen zementieren?
Das sind die Fragen, die viele da draußen bewegen, Antworten haben sie bisher nicht bekommen. Das Versagen des States aber ist weiter präsent, in die Köpfe eingebrannt – im Grunde ist es ja auch nicht zu entschuldigen. Aber das Mindeste, was man danach tun kann, ist genau das: sich entschuldigen. Dass Alexander Schweitzer das in seiner ersten Regierungserklärung nicht hinbekommen hat, ist ein neuerlicher Schlag in die Gesichter von Betroffenen und Angehörigen der Opfer.
Schweitzer wolle „erst noch Gespräche führen, und diese auf sich wirken lassen“, hatte der neue Ministerpräsident in Interviews gesagt, CXDU-Fraktionschef Gordon Schnieder konterte das am Mittwoch mit der völlig berechtigten Frage: „Herr Ministerpräsident, was wollen Sie da noch auf sich wirken lassen? Drei Jahre nach der Flut?“ Er sei „betrübt, dass Sie nicht den Mut aufbringen, sich von dieser uneinsichtigen Haltung zu distanzieren, und sich stattdessen in eine Reihe stellen mit dem kollektiven Hände-in-Unschuld-Waschen dieser Landesregierung“, sagte Schnieder. Die Menschen im Ahrtal sind nur noch enttäuscht.
Zeigt endlich Größe – für einen Neuanfang und ein ehrliches Sorry
Denn in der Tat: Wie lange will diese Regierung denn noch warten mit einer Entschuldigung, einem Neuanfang? Wann, wenn nicht jetzt, wo ein „Neuer“ in der Staatskanzlei sitzt? Die Zeit tickt, die Uhr läuft ab – das Zeitfenster, innerhalb dessen eine Entschuldigung noch glaubwürdig wäre, schließt sich rapide. In Mainz glaubt man immer, das Ahrtal wäre vergessen, die Flut vorbei, jetzt räumt man halt noch ein bisschen auf – es ist ein großer Irrtum: Nichts ist vergessen in Sachen Ahrflut, und solange die Politik keine echte Einsicht zeigt, wird auch nichts gut im Ahrtal.
Und so ist es die Opposition, die auf den Punkt bringen muss, was so viele denken: „Ich erwarte von Ministerpräsident Schweitzer, dass er jetzt Größe zeigt und einen Neuanfang im Umfang mit der Ahrflut wagt”, forderte CDU-Landeschef Christian Baldauf am Donnerstag: Es sei sehr spät, aber vielleicht noch nicht zu spät für eine Geste des öffentlichen Bedauerns über politische Fehler in der Flutkatastrophe – kurz: für eine Entschuldigung. “Die Menschen im Land“, sagte Baldauf noch, „erwarten diese Geste.”
Info& auf Mainz&: Eine ausführliche Analyse zum Abschlussbericht des UA Flutkatastrophe Ahrtal lest Ihr hier auf Mainz&. Die Debatte am Freitag in der Landtagssitzung ab 09.30 Uhr kann übrigens jeder live im Stream des Landtags auf dessen Homepage sowie auf Youtube verfolgt werden, auch der SWR will live berichten.