Mitte Juli beschlossen Grüne, CDU und SPD in Mainz, Koalitionsverhandlungen für eine Zusammenarbeit im Stadtrat aufzunehmen, genau vier Monate danach sind sich die Parteien einig: Mainz bekommt eine sogenannte „Kenia“-Koalition. Das ungewöhnliche Bündnis legte diese Woche seinen Mitgliedern den Koalitionsvertrag vor, kommendes Wochenende soll das Papier auf Parteitagen beschlossen werden. „Mainz hält zusammen“ lautet die Überschrift, die Präambel betont vor allem „Stabilität und Sicherheit“ – aber was steht wirklich drin? Mainz& analysiert für Euch, was die neue Koalition vorhat. Klar dürfte schon jetzt sein: Für die Bürger wird es teuer.
Bei der Kommunalwahl am 9. Juni war die alte Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP nach 15 Jahren von den Mainzern abgewählt worden, gemeinsam kamen die drei Parteien nur noch auf 30 der insgesamt 60 Sitze im Mainzer Stadtrat – zu wenig für eine Mehrheit. Es musste also nach neuen Mehrheiten gesucht werden, die Sondierungen zogen sich hin – heraus kam Mitte Juli die Entscheidung für ein ganz großes Bündnis: Grüne, SPD und CDU halten gemeinsam 41 Sitze im Mainzer Stadtrat, das entspricht satten 68 Prozent.
Die Mainzer ÖDP warnte daraufhin bereits, die potenziellen Partner dürften nicht einfach durchregieren, „wünschenswert wäre eine konstruktive Politik im Sinne der Mainzer Bürger.“ Auch die übrigen Reaktionen auf das geplante Bündnis fielen skeptisch bis ablehnend aus: Die Linke sprach von einer „Rückwärtskoalition“, die AfD argwöhnte, da finde sich ein reiner „Dezernentenwahlverein“ zusammen. Und die nun nicht mehr mitregierende FDP warnte vor einer „Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners“, die wenig Fortschritt und Mut erwarten lasse.
Keine Pressekonferenz, keine Einladungen, keine Antworten
Nun ist das mit Spannung erwartete Ergebnis der Koalitionsverhandlungen fertig: Mitte dieser Woche verschickten die drei künftigen Partner den Koalitionsvertrag an ihre Parteimitglieder. Die Öffentlichkeit wurde indes bislang nicht informiert: Jahrelang wurden fertige Koalitionsverträge auf Pressekonferenzen den Medien und der Öffentlichkeit vorgestellt, davon wollte man dieses Mal nichts wissen. Stattdessen wurde das Papier einzelnen Medien nach Gutdünken zugespielt, anderen aber nicht – Mainz& erfuhr von dem fertigen Vertrag erst aus anderen Medien.
Rückfragen zu den Inhalten waren so bislang nicht möglich, Nachfragen zu einzelnen Punkten oder zur Verbreitung des Papiers wurden nicht beantwortet – so etwa von den Grünen – oder fielen wolkig aus. Was die einzelnen Parteien für sich als wichtige Punkte des Vertrages sehen, wie sie ihre Schwerpunkte einschätzen, und wo sie den Partnern entgegen kamen – dazu gibt es bislang keinerlei Äußerungen.
Offenbar soll das Papier nicht vor den Parteitagen am 22. und 23. November 2025 diskutiert werden – zu zwei von drei Parteitagen liegen bislang keine Einladungen vor. Wann die Unterschrift unter das Papier gesetzt werden soll, wird bislang ebenfalls nur geraunt. Mainz& hat das Vertragspapier genau unter die Lupe genommen – hier ist unsere Analyse der beschlossenen Inhalte.
Die Präambel: Wolkig bis entschlossen
Was als erstes auffällt: Der Ton des neuen Koalitionsvertrages ist besorgt bis düster – an erster Stelle spricht die Kenia-Koalition über Herausforderungen, internationale Spannungen, Inflation, Transformationen in Sachen Klimakrise und „Angriffe auf unserer Demokratie“ – all das habe „zu Unsicherheiten und Ängsten“ geführt. Dem will die neue Koalition „Sicherheit und Stabilität“ entgegen setzen – gleich vier Mal fällt in vier Sätzen das Wort „stabil“ oder „Stabilität“. Das neue Bündnis stehe „für verlässliche Politik in Mainz; für eine Politik, die sowohl Stabilität als auch Handlungsfähigkeit garantiert“, heißt es wörtlich.
Gleich danach kommt das Thema Finanzen auf den Tisch: Man stehe „kommunalpolitisch vor der großen Herausforderung, Mainz langfristig finanziell stabil und gleichzeitig politisch verlässlich aufzustellen“, schreiben die Koalitionäre, und machen im Gegenzug sofort klar: „Die finanzpolitische Stabilität“ könne „nur mit dem klaren Signal“ einhergehen, „dass wir dennoch in die Zukunft unserer Stadt investieren.“ Stabilität und Sicherheit dürften „nie Stillstand bedeuten“, im Klartext: Kenia wird keine Spar-Koalition, man will weiter Kredite für Investitionen aufnehmen, und vor allem Steuern erhöhen – mehr im Kapitel Finanzen.
Ferner betont man in der Präambel,. die neue Koalition wolle für alle Menschen da sein, man sei weltoffen, setze sich für soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein und gegen Rechtsextremismus. „Unser politisches Handeln fußt auf der demokratischen Entscheidung dieser Menschen und dient deshalb dem Wohl dieser Stadt“, heißt es wörtlich – alles andere wäre allerdings auch ein Bruch mit Demokratie und der Verpflichtung der Politik, zum Wohle der Wähler zu arbeiten, gewesen.
Kapitel „Zusammenhalt“ mit viel „Wollen“ und „Sollen“
Im ersten Kapitel widmet sich die Koalition dann dem Thema „Zusammenhalt“, beschwört die Gleichstellung von Frauen und Männern, bekennt sich zu Inklusion und Barrierefreiheit, zu LBGTQ-Rechten und zu Demokratieförderung. Zu den wenigen konkreten Inhalten in diesem Kapitel gehören die Absicht, das „‚Haus des Erinnerns‘ als Lernort für Demokratie und Instanz aktiver Erinnerungsarbeit“ zu stärken und durch Aufklärungskampagnen und Antirassismus-Programme gegen Rassismus vorzugehen.
Insgesamt ist hier überwiegend von „wollen“ und „sollen“ die Rede, von „möchten“, „beabsichtigen“ und „wir setzen uns ein“, es strotzt von Gemeinplätzen wie: „Wir unterstützen die Arbeit des/der hauptamtlichen Behindertenbeauftragen“ – die Frage stellt sich: Warum meinte man, das betonten zu müssen? Wenn sich eine Stadt einen hauptamtlichen (!!) Beauftragten gibt, sollte dessen Unterstützung selbstverständlich sein.
Interessant vor allem: Die Personalsituation in der Ausländerbehörde soll verbessert werden, vor allem die Bearbeitungszeiten von Anträgen für Aufenthaltstitel soll verkürzt werden. Und: „Zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts möchten wir die Organisation eines interkulturellen Festes, das sich klar gegen Extremismus positioniert, sicherstellen“, heißt es weiter – beim Interkulturellen Fest 2024 war es zu einem Vorfall gekommen, bei dem Migranten den rechtsextremen Wolfsgruß der türkischen Grauen Wölfe gezeigt hatten. Hier hat offenbar die CDU einen ihr wichtigen Punkt gesetzt.
Finanzen mit hoher Prio, Grüne behalten Finanzdezernat
Spannend wird es gleich danach: Kapitel 2 widmet sich direkt dem kritischen Thema der Finanzen – vor Bauen und Wohnen, Bildung, Soziales und Umweltschutz und Klimaneutralität. Sollte diese Reihenfolge die Prioritäten der Koalitionäre zeigen, wäre das eine deutliche Abkehr von der Ampel 3.0, die den Umweltschutz und die Klimawende vor alles andere gestellt hatte.
Mainz war Ende 2021 von dem Geldsegen aus Steuereinnahmen vorwiegend des Pharmaunternehmens Biontech überrascht worden, seither ist die Stadt zwar so gut wie schuldenfrei, doch der Segen hielt nicht lange an: Bereits 2023 sanken die Einnahmen wieder deutlich, 2024 musste das Finanzdezernat ein dreistelliges Millionenloch im Haushalt beichten – was Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) mit konkreten Zahlen allerdings erst nach der Kommunalwahl tat. Das sorgte für erheblichen Ärger, Rücktrittsforderungen und die Frage, ob die Grünen das Finanzdezernat würden behalten können – die Antwort lautet: Ja.
Offenbar schaffte die CDU es nicht, an dem Sessel im Finanzdezernat zu rütteln, obwohl das im Vorfeld eigentlich eines ihrer wichtigsten Ziele gewesen war. Die Grünen behalten den Bereich Finanzen, eine der wenigen Konsequenzen im Koalitionsvertrag: Man werde „den Beteiligungsausschuss des Stadtrats nutzen, um die Mitwirkungsrechte des Rates und die Transparenz zu stärken“, heißt es nun, der Mainzer „Public Corporate Governance Kodex“ solle „in seiner steuernden und transparenzsteigenden Funktion weiterentwickelt“ werden.
Städtische Gesellschaft werden neu geordnet: GWM vor Umbau
„Mehr Transparenz“ soll es künftig auch zwischen der Mainzer Aufbaugesellschaft MAG und der Parken in Mainz GmbH geben – die neue Koalition will offenbar eine Zusammenlegung der beiden städtischen Gesellschaften prüfen. „Wir werden das bestehende Konstrukt so ändern, dass künftig der städtische Einfluss vergrößert wird“, heißt es dazu: „Ob dies durch eine paritätische Besetzung der Geschäftsführerpositionen erfolgen kann, ist zu prüfen.“
Auch die Eingliederung der Mainzer Bürgerhäuser GmbH & Co. KG in die Zentrale Beteiligungsgesellschaft der Stadt soll „geprüft“ werden. Die größte Umorganisation könnte aber die Gebäudewirtschaft Mainz (GWM) treffen: „Eine wirkungsvolle GWM wird auch zukünftig entscheidend sein, um wichtige Projekte der Stadt Mainz zu verwirklichen“, heißt es da – die GWM müsse schlagkräftiger werden. Deshalb werde man „zeitnah einen ergebnisoffenen Transformationsprozess einleiten“, so die Koalitionäre. Just am Freitag war der langjährige GWM-Chef Gilbert Korte in den Ruhestand verabschiedet worden.
Im Übrigen heißt es im Kapitel Finanzen: „Gemeinsam streben wir genehmigungsfähige Haushalte an“ – das schreibt im Übrigen das Kommunalrecht ohnehin vor, die Dienstaufsicht ADD wird der Satz freuen. Perspektivisch sei es „unser Ziel, wieder ausgeglichene Haushalte vorzulegen“, die Kreditaufnahme der Stadt dürfe „ausschließlich der Finanzierung von Investitionen dienen.“ Denn die Kenia-Koalition will in breitem Stil weiter investieren: „in Erziehung und Bildung, in ökologische und ökonomische Nachhaltigkeitsprojekte, in den Wirtschaftsstandort Mainz, in die Schaffung bezahlbaren Wohnraums sowie in eine funktionierende Infrastruktur“, zählt die Koalition auf. All das rechtfertige eine begrenzte Kreditaufnahme.
„Mainz finanziell stabil“: Für die Bürger wird es teuer
Für die Mainzer heißt das vor allem eines: Ihr Leben wird künftig deutlich teurer. Denn die Koalition will den steigenden Ausgaben „vor allem durch Effizienzsteigerungen, verantwortbare Einnahmeverbesserungen und Sparmaßnahmen zu begegnen“ – nennt in der Folge aber vor allem eines: die Anhebung von Steuern und Gebühren. Man strebe „eine effizientere Erfüllung unserer gesetzlichen Pflichtaufgaben an“, heißt es da, und dazu gehöre auch, „das Kostendeckungsprinzip bei den Gebühren konsequenter anzuwenden und Steuern zu erhöhen.“
Im Klartext: Städtische Leistungen wie Wasser, Müll und Abwasser werden teurer werden – die Anhebung der Abwassergebühren hat der Wirtschaftsbetrieb der Stadt gerade für das Jahr 2025 angekündigt (Bericht folgt). Die Müllgebühren dürften folgen – die Dienstaufsicht ADD hatte die Abfall- und Straßenreinigungsgebühren bereits Ende 2023 in ihren Schreiben an die Stadt Mainz als unzureichend gerügt. Ferner heißt es, man wolle die Gewerbesteuerentwicklung „dynamisch an die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen“ anpassen – konkreter werden die Koalitionäre nicht.
Im Oktober hatte der Mainzer Stadtrat bereits eine drastische Rück-Anhebung der Gewerbesteuer in Mainz beschlossen, der Hebesatz steigt damit zum Januar 2025 von 310 auf 440 Punkte – trotz scharfer Kritik der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mainz-Rheinhessen. Die hatte vor einer „erheblichen zusätzlichen Belastung in schwierigen Zeiten“ gewarnt, eine Steigerung der Gewerbesteuer um 42 Prozent sei kaum zu verkraften und werde langfristig zu weniger Wirtschaftswachstum und damit auch zu geringeren Steuereinnahmen führen.
Steuern sollen steigen – auch die Grundsteuer?
Dabei betonten die Kenia-Koalitionäre in einem Atemzug, man „arbeite nach der Maßgabe, die Bürger:innen sowie das Gewerbe unserer Stadt so gering wie möglich zu belasten“ – de facto ist das Gegenteil geplant: Im Raum steht weiter eine massive Anhebung der Grundsteuer B auf satte 600 Prozent, dabei wird die neue Grundsteuerreform, die zum Januar 2025 greift, bereits Mehreinnahmen von rund 8 Millionen Euro in die städtische Kasse spülen – allen Beteuerungen einer „Aufkommensneutralität“ zum Trotz.
Trotzdem plant das Finanzdezernat eine weitere Steigerung des Hebesatzes von jetzt 480 Prozent auf dann 600 Prozent – was der Stadt satte 20 Millionen Euro mehr als bisher beschweren würde. Die FDP warnte prompt, das werde das Wohnen in Mainz insgesamt erheblich verteuern, weil die Grundsteuer auch auf die Mietnebenkosten umgelegt wird – Hauseigentümern droht geschätzt eine Verzigfachung ihrer jetzigen Steuersätze. Zum Thema Grundsteuer aber schweigt sich der Koalitionsvertrag komplett aus.
Auch in Sachen Sparen bleibt der Koalitionsvertrag vage: Man wolle das Liegenschaftsmanagement „optimieren“ und „die wirtschaftlichen Potenziale städtischer Verwaltungsgebäude und Liegenschaften effektiver nutzen“, heißt es da – konkret: Die Stadt will Kosten bei Mieten sparen. Zudem will, man sich intensiver um Fördermittel von EU, Bund und Land bemühen und fordere vom Land bei der Neubemessung des Kommunalen Finanzausgleichs einen Hauptstadtausgleich für Mainz.
Thema Bauen und Wohnen geht an die CDU
Gleichzeitig heißt es just im nächsten Kapitel, die Koalition wolle „das Wohnen attraktiver und bezahlbarer machen“. Dazu setzt das Kapitel Wohnen eine neuen Schwerpunkt bei der „Schaffung von urbanem Wohnraum im Sinne der Nutzungsmischung in der Innenstadt.“ Durch gezielte Neubau- und Sanierungsprojekte solle attraktiver Wohnraum geschaffen, die GFZ-Kaserne der Bundeswehr endlich zum Wohnquartier entwickelt und die Entwicklung der neuen Wohnbebauungen in Ebersheim und Hechtsheim vorangetrieben werden.
Auch an dem neuen Biotech-Hub an der Saarstraße hält die Kenia-Koalition fest, verspricht aber „für jeden neu versiegelten Quadratmeter mindestens zwei Quadratmeter im Stadtgebiet zu entsiegeln oder ökologisch aufzuwerten.“ Generell wolle die Koalition die Lebensqualität in der Mainzer Innenstadt erhöhen, dazu gehörten „eine hohe Aufenthaltsqualität, Sauberkeit und Sicherheit sowie eine gute Erreichbarkeit“, heißt es weiter.
Und hier zeigt sich das Neue im Koalitionsvertrag: Das Thema Wohnen und Bauen hat einen anderen Zungenschlag als früher, der Grund: für „Bauen und Liegenschaften“ soll künftig die CDU zuständig sein. Und die schlägt gleich mal einige Pflöcke in dem stringent geschrieben Kapitel ein. So heißt es nun: „Wir werden öffentliche Räume in Form von Plätzen und Flächen attraktiver gestalten, mit hoher Aufenthaltsqualität und mehr Grünflächen.“ Man wolle mit mehr Grün- und Wasserflächen in der Innenstadt für Abkühlung sorgen – das klingt sehr nach dem „Bäume, Brunnen, Bächle“-Konzept, das CDU-Kreischef Thomas Gerster im Juni 2021 bei seiner Bewerbung als Mainzer Umweltdezernent vorlegte.
Neue Vision für Mainz: Neues Leitbild für die Stadtentwicklung
Und so betont das Kapitel Bauen denn auch: Die Koalition will ein grundlegendes „Leitbild, eine Vision von der Stadt“ entwickeln. „Die Erarbeitung eines integrierten Stadtentwicklungskonzeptes steht für uns ganz oben auf der Agenda“, heißt es dazu. Dieses Konzept solle gemeinsam mit der gesamten Stadtgesellschaft entwickelt werden und sich „am Leitbild der Neuen Leipzig Charta und dem Memorandum Urbane Resilienz orientieren“ und eine Betrachtungshorizont von 15 bis 25 Jahren haben sowie unter professioneller Begleitung geeigneter Fachleute entwickelt werden.
Und dieses neue Leitbild soll offenbar nach dem Willen der CDU nicht nur das Thema Bauen und Wohnen umfassen, sondern die gesamte Stadtentwicklung bis hin zur Stärkung des lokalen Handels und der Dienstleistungsangebote, der Förderung von Anreizen für Neuansiedlungen oder Leerstandsnutzung. Die Aufwertung des Mainzer Rheinufers soll eine wichtige Rolle spielen, das Regierungsviertel neu gestaltet werden – und zwar „ebenso klimagerecht und der Biodiversität förderlich.“
Zudem heißt es hier wörtlich: „Es gilt, Mobilität neu zu denken“ – das ist eine langjährige CDU-Forderung, und so heißt es denn auch: „Es gilt, ein Gesamtkonzept für alle Verkehrsteilnehmende und Verkehrsarten zu entwickeln“, das würde indes Autos explizit einschließen – etwas, dem sich die Grünen bislang vehement verweigert hatten. Durchgesetzt hat sich die CDU indes auch nicht richtig: „Ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept ist notwendig, um die Innenstadt für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und den öffentlichen Nahverkehr zu optimieren“, heißt es weiter.
Mobilität und Verkehr: Mehr Fahrradstraßen und Radrouten
Das wichtige Thema Mobilität und Verkehr bleibt denn auch weiter in grüner Hand – und kommt im Koalitionsvertrag erst auf Seite 41 von 58. Und hier dürften einige Kröten für den neuen Koalitionspartner CDU schlummern, denn hier heißt es: „Wir bekennen uns zu dem mittelfristigen Ziel, das 80 Prozent aller Wege innerhalb von Mainz im Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr zurückgelegt werden.“ Das heißt nichts anderes als eine massive Zurückdrängung des Autoverkehrs in der Innenstadt, die zum Großteil dem Nahverkehr, Radfahrern und Fußgängern vorbehalten werden soll.
Der Schutz der Fußgänger habe denn auch „für die Koalition höchste Priorität“, mehr Personal in der Verkehrsüberwachung soll mehr Kontrollen ermöglichen – und mehr Bußgelder. Die Förderung des Radverkehrs sei der zweite zentrale Baustein der Verkehrsstrategie – in Zukunft soll noch mehr gelten: Radfahren first. Konkret sollen weitere Rad-Routen aus allen Stadtteilen in die Innenstadt kommen, explizit genannt werden eine Radroute durch die Neustadt zum Rhein, Routen zur Unimedizin und zur Universität über Alicenbrücke und Schottstraße sowie eine Rheinachsenroute von Laubenheim über den Winterhafen und den Zollhafen bis zum Mombacher Kreisel.
Weitere Fahrradstraßen soll es auf der Hinteren Bleiche und der Münsterstraße geben, Radwege aber immerhin wo möglich „baulich getrennt“ vom Autoverkehr und den Fußgängern angelegt werden – von den rechtlich umstrittenen Rad-Piktogrammen auf der Straße ist keine Rede mehr. Gleichzeitig soll der Straßenbahnausbau wie geplant erheblich vorangetrieben werden, dazu gehört auch der Innenstadtring mit den umstrittenen möglichen Tangenten Hindenburgstraße oder Rheinallee. „Bei der Planung und Umsetzung sollen Eingriffe in den Baumbestand minimiert werden“, heißt es dazu – kein gutes Vorzeichen für die Baumalleen der Neustadt: Geschützt werden sie damit explizit nicht.
Straßenbahnausbau soll massiv weiter gehen, Fairtiq geplant
Dass die Stadt den Straßenbahnausbau mangels Finanzmitteln erst vor Kurzem auf Eis gelegt hat, stört die neue Koalition offenbar nicht: Man will stattdessen eine Straßenbahnverbindung nach Ebersheim und zum neuen BioTech-Hub prüfen, plant die Anschaffung neuer Straßenbahnen und strebt „auch für die äußeren Stadtteile mindestens eine 10 Minuten Taktung an“ – sofern dies „wirtschaftlich und personell darstellbar“ sei.
Zudem will die Koalition ein „FairtiQ“ für günstige Tarife prüfen – nach dem Vorbild Erfurts -, den Null-Euro-Samstag sowie das 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende sowie das Sozialticket im Rahmen des MainzPasses beibehalten. Auch eine Elektro-Rheinfähre mit Wiesbaden steht auf der Wunschliste, ebenso eine Seilbahn über den Rhein: „Wir suchen den intensiven Austausch mit Kommunen, die gegenwärtig Seilbahnprojekte intensiver evaluieren, und werden darauf aufbauend eine solche Lösung für Mainz prüfen“, heißt es dazu.
Zur Finanzierung all dieser Projekte schweigt die das Papier indes aus. „Wir erwarten, dass der Bund und das Land ihrer Verantwortung für die Weiterentwicklung und Finanzierung des urbanen ÖPNV stärker nachkommen“, heißt es lediglich.
Mehr Bäume, mehr Grüne Wellen, keine Ausweitung von Tempo 30
Interessant auch: Die neue Koalition bekennt sich explizit dazu, Freiflächen, Fassaden und Dächer zu begrünen und Bäume zu schützen und neu zu pflanzen – bisher hatte Mainz unter der grünen Umweltdezernentin mehr Bäume gefällt als gepflanzt, und auf neuen Plätzen wahre Betonwüsten gestaltet – eine ausführliche Bilanz dazu lest Ihr hier. Nun heißt es explizit: „Daher werden wir zusätzliche schattenspendende Bäume auf dem Gutenbergplatz und anderen geeigneten öffentlichen Flächen pflanzen.“ Auch der von den grünen geforderte „zweite Grüngürtel“ soll kommen – mehr dazu hier bei Mainz&.
Zum Thema Auto fasst sich das Papier sehr kurz: Der „Umweltverbund“ solle „weiter gestärkt werden, um einen Anreiz für einen Umstieg vom eigenen PKW zu befördern“, heißt es gleich im ersten Satz. Im Klartext: Das Auto soll weiter zurückgedrängt werden. Autofahrer sollen schnell in Parkhäuser gedrängt werden, deren „gute Erreichbarkeit in der Innenstadt gewährleistet bleiben“ solle – konkreter wird es nicht. Zuletzt hatte das Verkehrsdezernat von Janina Steinkrüger (Grüne) mit Baustellen vor allem in der Binger Straße und der Windmühlenstraße die Erreichbarkeit der Mainzer Innenstadt stark eingeschränkt, ein Einlenken ist nicht in Sicht – trotz Schäden für Handel und Wirtschaft.
Tatsächlich sieht der Koalitionsvertrag auch eine Verbesserungen des Verkehrsflusses durch Grüne Wellen vor, weiter heißt es: Man wolle „auch um für einen attraktiven ÖPNV den bestmöglichen Verkehrsfluss zu gewährleisten, wir im Einzelfall prüfen, welche Geschwindigkeit zum Erreichen dieser Ziele geeignet ist.“ Damit verabschiedet sich die Koalition von einer expliziten Ausweitung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen, wie sie Steinkrüger zuletzt noch im Stadtrat ankündigte – und öffnet womöglich Wege zu Tempo 40 auf Hauptachsen, wie sie gerade auch Wiesbaden einführte.
Schule, Kita, Soziales: Hitzeschutz und Wärmeplanung
Ein weitgehendes „Weiter so“ enthalten die Kapitel zu Soziales, Kita und Schule. Mehr Kitas, eine frische Ernährung, verstärkte Personalgewinnung, die bereits auf den Weg gebrachten Möglichkeiten für Höhergruppierungen – neu ist nichts davon. Erneut wird eine Entsiegelung von Schulhöfen genannt, bislang kam die nicht wirklich voran. An Schulen soll es multiprofessionelle Teams geben, im Sozialbereich ein Besuchsdienst für junge Familien aufgebaut, Spielplätze mit Wassernutzung und Schatten verbessert werden.
Im Bereich Gesundheit soll es nun endlich einen Hitzeschutz-Aktionsplan geben, wie ihn etwa die ÖDP Mainz schon lange fordert. Welche weiteren „Maßnahmen zum Lärm- und Hitzeschutz sowie zur Verringerung der Luftverschmutzung“ geplant sind, verrät das Papier allerdings nicht. Im Bereich Wohnungslosigkeit will sich Mainz am „Housing First“-Modellprojekt des Landes Rheinland-Pfalz beteiligen.
Zudem bekennt sich die Koalition dazu, Mainz bis 2035 klimaneutral zu machen, dafür soll für jeden Stadtteil „ein Entwicklungsplan nach den Zielen der 15-Minuten-Stadt“ erstellt werden – Modellprojekte sollen für die Neustadt, das Heilig-Kreuz-Viertel und Drais entwickelt werden. Bislang hatte die Kommunale Wärmeplanung des Umweltdezernats zahlreiche Fragen offen gelassen, gerade beim Thema künftiger Heizformen.
Mehr Windkraft und Solar, Weinerlebniswelt und Medienvielfalt
Zudem plant die Kenia-Koalition mehr Windkraftanlagen und Solar auf Dächern, Balkonkraftwerke sollen endlich auch bei der Mainzer Wohnbau erlaubt werden, die sich bislang sperrte. „Öffentliche Dachflächen sollen durch die Einführung eines Strombilanzkreismodells bestmöglich genutzt werden“, so der Vertrag wörtlich. Auch für Photovoltaikanlagen auf Freiflächen, „insbesondere über Parkplätzen und gegebenenfalls auch Autobahnüberdeckelungen“ sei man offen – das wäre mal ein Novum.
Weitere wichtige Details: Das Zentrenkonzept soll bleiben, aber auf den Prüfstand, wer Hunde aus dem Tierheim adoptiert, von der Hundesteuer befreit werden – dies waren Forderungen und Vorschläge der CDU. Die Wirtschaftsförderung soll gestärkt, Unternehmensnetzwerke und Gründerkultur gefördert werden – und der Bereich der jetzigen Hochstraße nach ihrem Abriss zum Gewerbegebiet aufgewertet werden. Auch ein explizites Bekenntnis zu einer Konzeptentwicklung für ein Weinerlebniszentrum enthält das Papier, „der Positionierung und Vermarktung von Mainz als Weinhauptstadt Deutschlands“ soll „ein größeres Augenmerk“ gewidmet werden – konkreter wird es auch hier nicht.
Auch ein Bekenntnis zu „unabhängigen und wettbewerbsfähigen Medienorganisationen sowie qualitativ hochwertigen Medienangeboten“ enthält das Papier – die seien „für unsere Demokratie unersetzlich.“ „Qualitativ hochwertig publizistische Vielfalt wollen wir angesichts der Bedeutung für unsere Demokratie und der wirtschaftlichen Herausforderungen für bestehende Medienunternehmen sowie- Startups fördern“, heißt es weiter – Mainz& ist sehr gespannt, was das praktisch bedeuten soll.
Kultur: Fragezeichen hinter Kulturbäckerei und Stadtkuratorin
Eine Enttäuschung dürften diverse Kulturinstitutionen beim Blick in das Papier erleben: „Wir stärken unsere Projektförderung weiter, um einer Bedarfsabdeckung näher zu kommen“, heißt es zwar – doch zur vor der Wahl heiß umkämpften Kulturbäckerei heißt es lediglich: Man werde sich „für die verlässliche und langfristige finanzielle Unterstützung im Sinne des Stadtratsbeschlusses von Mai 2024 für den Aufbau und dauerhaften Betrieb eines soziokulturellen Zentrums“ einsetzen – eine feste Zusage für die ursprünglich versprochene Förderung ist das nicht. Der Ollohof in der Mainzer Neustadt kommt in dem Papier überhaupt nicht vor.
Das historische Erbe von Mainz soll „im Stadtbild seinen Platz finden“ und besser erlebbar gemacht werden, „die Wahrnehmung des römischen Erbes gilt es auszubauen“, heißt es zudem in einem eigenen Abschnitt des Koalitionsvertrages – doch wie das geschehen soll, dazu schweigt sich das Papier aus. Verpflichtet fühlt man sich auch dem jüdischen erbe, dem mittelalterlichen Erbe, der Zeit der Domherren und Kürfürsten und der Zeit des demokratischen Aufbruchs der Mainzer Republik – von der Schaffung einer Stadtkuratorin, wie vor der Wahl gefordert, steht in den Papier indes nichts.
Offenbar soll der Bereich des Historischen Erbes ein eigenständiger Bereich, und von Kultur und Bauen getrennt werden – wie genau das aussehen soll, verrät der Vertrag indes nicht. Stattdessen zeigt ein Blick in die neue Dezernatsverteilung: Die CDU erhält die Zuständigkeiten für Bauen, Liegenschaften, Fördermittelmanagement, Wirtschaft, Ordnung und Historisches Erbe.“
Neuzuschnitt der Dezernate: Ehrenamtliche mit wichtigen Aufgaben?
Kurios dabei: Damit würde die CDU nehmen dem jetzigen Wirtschaftsdezernat neue, wichtige Stadtaufgaben übernehmen – doch ein zweites Dezernat soll sie nicht bekommen. Der CDU würden „ein hauptamtliches Dezernat und zwei ehrenamtliche Dezernate“ zugeordnet, heißt es in dem Papier – damit wäre die CDU die klare Verlierin am Kabinettstisch. Ob damit das zentral wichtige Thema Bauen ehrenamtlich wird, oder doch die Wirtschaftsförderung, wie schon einmal 2020 diskutiert – dazu gab es am Freitag keine Antworten.
Gewinner wäre die SPD, die trotz geschrumpftem Aufgabenbereich zwei hauptamtliche Dezernenten behalten soll: Laut Koalitionsvertrag bleibt die SPD für Soziales und Jugend, Schulen und Kultur zuständig – bislang lenkte Sozialdezernent Eckart Lensch (SPD) die Bereiche Soziales, Jugend und Schule bequem aus einem Dezernat heraus. Die Grünen behalten hingegen ihre zwei hauptamtlichen Dezernate mit den Zuständigkeiten für Finanzen und Beteiligungen, Sport, Umwelt, Grün, Energie und Verkehr – und stellen auch weiter den Bürgermeister als Stellvertreter des OB.
Der Koalitionsvertrag soll nun am kommenden Wochenende auf Parteitagen von Grünen, SPD und CDU beraten werden. Sollten die jeweiligen Parteibasen zustimmen, könnte der vertrag in der Woche danach unterzeichnet werden – und Mainz hätte ein halbes Jahr nach der Kommunalwahl wieder eine Regierungskoalition im Stadtrat. Zu den Personalien der einzelnen Dezernate schweigt sich die Koalition bisher aus – in den kommenden Jahren stehen gleich diverse Dezernate zur Neubesetzung an.
Info& auf Mainz&: Was die Kenia-Koalition in ihrer ersten Absichtserklärung im Sommer angekündigt hatte, lest ihr hier auf Mainz&.